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Fischer im Recht – Mit Absicht bestrafen

Fischer im Recht - Mit Absicht bestrafen

Fischer im Recht – Mit Absicht bestrafen

Was geschieht vorsätzlich? Was fahrlässig? Und gibt es etwas dazwischen? Die Kölner Silvesternacht und die tödlichen Rennen in Innenstädten haben eine alte Debatte neu angefacht. Thomas Fischer analysiert für SPIEGEL ONLINE.

Begriffe

“Strafbar ist nur vorsätzliches Handeln, wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht.” So lautet, knapp und übersichtlich, § 15 StGB seit ungefähr 140 Jahren. Das enthält zwei Botschaften. Erstens: Man muss unterscheiden zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit. Zweitens: Man muss strafbares Verhalten unterscheiden nach Vorsatz und Fahrlässigkeit.

Alle kommen in Schwierigkeiten, wenn sie sagen sollen, was eigentlich “Vorsatz” und was “Fahrlässigkeit” ist. Jede(r) denkt natürlich, dass er/sie es ganz genau weiß, und jede(r) hat einen Schwager, und jeder irgendetwas gelesen… Wie in den Wartezimmern der Radiologie und der Elektrotechnik, von der Philosophie ganz zu schweigen. JuristInnen denken zu Recht, dass sie es besser wissen, sind aber auch wieder nur die Krankenkassen unter den philosophischen Radiologen: Ein bisschen mehr vorne, aber nicht per se weiser.

Rechts-Profis haben sich schon vor langer Zeit ziemlich praktikabel ausgedacht: Vorsatz ist “Wissen und Wollen”, Fahrlässigkeit entweder “Wissen, aber nicht wollen” (das heißt “Bewusste Fahrlässigkeit”), oder “Nicht-Wissen und Nicht-Wollen” (das heißt “Unbewusste Fahrlässigkeit”). Das sind, in der Theorie, “wirkliche Zustände”, psychologische Tatsachen: Jemand denkt, will, möchte, weiß irgendwas oder auch nicht. Das ist kein Spuk, sondern eine reale Erfahrung, die den Menschen aller Kulturen unmittelbar einleuchtet.

Die “Zustände” des Wissens und des Wollens beziehen sich auf sogenannte “Tatbestands-Merkmale”. Das sind Geschehnisse oder Zustände, die in einem Gesetz als Voraussetzung von Strafbarkeit formuliert sind. Das muss einmal so sein, denn niemand von uns möchte ja gern schreckliche Strafen erleiden, ohne wissen zu dürfen warum.

“Wer einen anderen Menschen tötet” oder “Wer eine fremde bewegliche Sache mit Gewalt wegnimmt”: lauter “Tatbestands-Merkmale”. Alles nur Sprache! Daher muss alles wieder bestimmt werden: Was ist ein Mensch? Wann ist ein Mensch tot? Wann ist eine Handlung kausal, so dass wir sie als “Töten” einstufen möchten?

“Vorsatz” oder “Fahrlässigkeit” sind Merkmale, die im Inneren eines Subjekts (Menschen) stattfinden. Daher heißen sie “subjektive Merkmale”, im Gegensatz zu den “objektiven”: Mensch, Töten, Fremd, Sache, usw. Die Menschen, für die das Gesetz gilt, denken meist, dass sie wissen, was die Begriffe bedeuten. Das schließen sie daraus, dass sie schon viele “Tatort”-Krimis und viele “Reportagen” gesehen haben. Ich versichere Ihnen: Es stimmt davon so viel wie an den Diagnosen derjenigen, die sehr viele Folgen von Arztserien im Vorabendprogramm gesehen haben. Das ist ja nicht schlimm. Aber man muss ja deshalb nicht ernsthaft über Professor Brinkmanns Krebs-Theorie sprechen, oder?

Kurzer Lehrgang

Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie stehen mit einem großen Wackerstein am Fenster im dritten Stockwerk oberhalb einer Fußgängerzone. Gleich werden Sie den Stein aus dem Fenster werfen. Sie wissen: Wenn der Stein jemanden trifft, ist das tödlich. Es gibt folgende Möglichkeiten, was Sie denken könnten:

1) Da unten geht mein alter Feind X. Ich hoffe, dass ich ihn treffe.

2) Da unten ist es so voll, dass es sicher irgendjemanden erschlagen wird. Tut mir leid, aber ich muss diesen Stein loswerden.

3) Es kann sein, dass ich jemanden treffe. Da hat er/sie halt Pech gehabt.

4) Es kann sein, dass ich jemanden treffe. Aber das wäre wirklich furchtbar, und hoffentlich passiert es nicht.

5) Es kann überhaupt nicht sein, dass ich jemanden treffe, denn die Fußgängerzone ist komplett gesperrt.

Die Beispiele klingen albern, sind aber nur Verdichtungen. In den Begriffen des Strafrechts bedeuten sie:

1) Absicht (Töten von X ist das Motiv)

2) Direkter Vorsatz (Töten eines Menschen wird als sicher vorhergesehen)

3) Bedingter Vorsatz (Töten wird als möglich erkannt und “in Kauf genommen”)

4) Bewusste Fahrlässigkeit (Töten wird als möglich erkannt, aber auf guten Ausgang vertraut)

5) Unbewusste Fahrlässigkeit (Töten wird gar nicht als Möglichkeit erkannt).

Die Rechtslehre unterscheidet also in zwei Abteilungen: “Kognitiver” Aspekt (Frage: Wird/Kann etwas passieren?) und “voluntativer Aspekt (Frage: Soll /Soll nicht etwas passieren?). Aus der Kombination ergeben sich die genannten Möglichkeiten – stets in konkreter Gestalt, denn die Welt besteht ja nicht aus Modell-Menschen mit Wackersteinen, sondern aus Millionen von Personen und Fällen an jedem Tag.

Lange Geschichte

Im Jahr 2000 veröffentlichte die Strafrechtsprofessorin (damals wissenschaftliche Assistentin) Tatjana Hörnle in der “Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft” (ZStW) einen Aufsatz über das Problem eines möglichen Irrtums des Täters über das Einverständnis der betroffenen Person bei Sexualstraftaten. Weil bei Nötigungen jeder Art der Widerwille des Opfers eine Voraussetzung des Tatbestands ist und ein “Tatbestandsirrtum”, wenn er bewiesen oder nicht ausschließbar ist, den Vorsatz hinsichtlich des betreffenden Tatbestands-Merkmals ausschließt, kommt es bei vielen Tatbeständen auf den Willen des (möglichen) Opfers an. Wer ein Merkmal des Tatbestands nicht kennt oder will, hat keinen Vorsatz und kann nach §§ 15, 16 StGB – siehe oben – nicht wegen vorsätzlicher, sondern nur wegen fahrlässiger Tat bestraft werden. Das weiß eine jede, die schon einmal an eine Bußgeldstelle hat schreiben lassen, sie/er habe die “verfahrensgegenständliche” Geschwindigkeitsbeschränkung leider, leider überhaupt nicht gesehen und daher nicht gekannt…

Eine gesetzliche Fahrlässigkeitsstrafbarkeit ist beim Totschlag vorgesehen (“Fahrlässige Tötung”), bei Diebstahl, Raub, Betrug oder (sexueller) Nötigung aber – aus ziemlich guten Gründen – nicht: Die Grenzen zwischen “Sollen” und “Sein” will unsere Gesellschaft hier nicht in Frage stellen. Es wäre sonst nämlich wegen “fahrlässigen Betrugs” strafbar, wer zwar nicht gewollt, aber irgendwie “zu vertreten” hätte, dass ein Geschäftspartner sich geirrt und dadurch einen Schaden erlitten hat. Damit wäre das systemrelevante Geschäftsmodell der Weltwirtschaft weithin erledigt; also lassen wir das mal.

Diese Lage missfällt manchen, mal bei diesem Tatbestand und mal bei jenem, aber durchweg bei unwichtigen, aber moralisch ergiebigen. Sie fordern dann eine Ausweitung der Strafbarkeit. Dieses heutzutage meist als per se erstrebenswert angesehene Ziel kann man auf verschiedene Weise erreichen: Entweder man führt eine ausdrücklich Fahrlässigkeits-Strafbarkeit für den speziell gewünschten Tatbestand ein (z.B. “Fahrlässige Vergewaltigung” oder “Fahrlässigen Diebstahl”), oder – noch weitergehend – man dreht gleich an den Schrauben des “Allgemeinen Teils”, also bei der allgemeinen Regel des § 15, und kann so mit einem Schlag sämtliche Tatbestände erreichen. Für diesen Ansatz bieten sich dann zwei Argumentationslinien an: Man kann auf die so genannte “Opferperspektive” abstellen: Was geht es das Opfer an, wenn der Täter sich irrt? Oder man kann beweisrechtlich argumentieren: Wie soll man sicher beweisen, was der Täter wirklich gedacht und sich eingebildet hat?

Professorin Hörnle hat im Jahr 2000 noch die erste Variante favorisiert: “Fahrlässigen Diebstahl” fand sie damals ganz unnötig, weil die Schäden durch Diebstahl ja meist gering seien. Das würde sie sich heute wohl auch nicht mehr zu sagen trauen, Auge in Auge mit einer Polizeigewerkschaft, dem Verband der Alarmanlagenhersteller und dem wunderbaren Innenminister. Strafbarkeit von “Fahrlässiger sexueller Nötigung” fand sie aber auch damals schon reizvoll. Sie prägte deshalb zum Sexualstrafrecht die wirklich schöne rechtspolitische Formulierung: “Die Gewährung eines ungeregelten Raumes ist problematisch.” Das kann man so sehen, muss es aber nicht. Im Ergebnis schlug sie aus wissenschaftlicher Sicht einen neuen Tatbestand der “leichtfertigen sexuellen Nötigung” vor, also die Strafbarkeit von (auch unbewusster!) Fahrlässigkeit. Natürlich streng begrenzt auf die Vergewaltigung.

Ein Angebot von

Der Gedanke an sich, den “subjektiven Tatbestand” ein wenig zu “objektivieren”, von der wirklichen Person und ihrer wirklichen tatsächlichen inneren Einstellung zu lösen und auf eine “zugemutete” (besser: zuzumutende) Einstellung zu beziehen, war natürlich nicht neu, ebenso nicht die Kritik an der “psychologisierenden” Betrachtung des Vorsatzes durch die herrschende Meinung. Wohl aber der Umsetzungsvorschlag von Hörnle: Auf die Idee muss man erst einmal kommen.

Rechtsprechung, wissenschaftliche Mehrheitsmeinung und Politik ließen sich zunächst nicht beeindrucken: Man war sehr erschöpft vom großen Strafreformwerk des Jahres 1998, die “ZStW” lesen sowieso nur 800 Menschen, und die Sprechschau-Stimmung ging damals definitiv in Richtung “Was soll aus Deutschland werden?” mit Herrn Professor Sinn vom Ifo-Institut und Herrn Joerges vom “Stern”: Guidomobil live. So vergingen die Jahre. Viele tausend Fälle wurden von Strafgerichten entschieden, bei denen Feststellung und Beweis des Tatvorsatzes oder eines Irrtums von Bedeutung waren, und man kann nicht sagen, dass es dabei häufig zu unlösbaren Schwierigkeiten oder unvertretbaren Ergebnissen gekommen sei.

Zeitenwende – gefühlt

Dann traten, warum auch immer, 2016 zwei Super-Aufreger ins Bewusstsein der inzwischen onlinebefindlichen Menschen draußen im Lande: Die “Kölner Ereignisse” und die “Raser von Berlin” – die besonders öffentlichkeitswirksamen Tatbestände der sexuellen Nötigung und des Totschlags standen inmitten. In beiden Fällen gab es, wenn auch auf verschiedener Ebene, Schwierigkeiten mit der Feststellung des Vorsatzes von Beschuldigten: In Köln – wenn denn überhaupt einmal jemand beschuldigt wurde – ging es darum, dass Personen vielleicht “dabeigestanden”, aber Sexualstraftaten weder selbst begangen noch unterstützt oder gewollt hatten. In Berlin (und auch in Köln) ging es darum, dass Personen hochgradig gefährliche Handlungen (“Rennen”) mit tödlichem Ausgang begingen, aber diesen Ausgang sicher oder vielleicht nicht “wollten”, “billigten” oder “in Kauf nahmen”.

Beide Probleme waren dem Strafrecht nicht neu, sondern stellen sich der Strafjustiz seit vielen Jahrzehnten sehr häufig: Jede Woche werden zahlreiche hochgefährliche Körperverletzungen abgeurteilt, bei denen sich die Frage stellt, ob der Täter den Tod des Opfers in Kauf genommen hat; und jede Woche sind Fälle zu verhandeln, bei denen es um “Exzess”-Taten einzelner von mehreren Beteiligten geht: Drei Täter schlagen jemanden zusammen; einer nimmt, ohne dass die anderen zwei das wollen oder bemerken, dem Opfer den Geldbeutel weg: Sind alle drei des “Raubs” schuldig?

Nichts Neues in der Sache also. Aber ein neues “Klima”: Eine gegenüber 2000 nochmals straf-freundlichere Grundstimmung, welche die ganze Gesellschaft durchzieht, die keine “Lücke” mehr lassen, keinen “ungeregelten Raum” mehr hinnehmen, keinen “mutmaßlichen” Bösewicht mehr davonkommen lassen will. Und die immer höhere Strafen fordert – ganz unabhängig davon, ob, wann, unter welchen Bedingungen und bei wem sie etwas “nutzen” können. Im Bundestag eine Partei, der kein Gerücht zu abwegig ist, um daraus nicht ein “Staatsversagen” und einen angeblichen “Zusammenbruch der Sicherheit” in Deutschland – einem der sichersten Flecken dieser Erde – zu konstruieren, auf dass endlich das bekannt erfolgreiche Friedensprogramm des Rassismus obsiege – und die dafür von 10 bis 30 Prozent der deutschen SicherheitsfreundInnen gewählt wird.

In dem Gebräu stecken natürlich noch ein paar Ingredienzien mehr; aber ich will hier auf die vollständige Liste verzichten, damit nicht mit jedem Reizwörtlein mehr empörte Widerleger angelockt werden. Sagen wir so: Es passt ganz gut. Der Wind pfeift streng von oben nach unten und säuselt denen da unten ins Ohr: Ich will Dich beschützen, Würstlein. Die Weißwürstlein sind sehr beunruhigt im Hinblick auf die unkontrollierte Überhandnahme der Rostbratwürstlein und sagen daher: Jawoll, Staat!

Die Raser von Berlin brachten also einmal wieder eine große wissenschaftliche Unruhe hervor unter den professores scientiae poenalae: Könnte man nicht “endlich” einmal dafür sorgen, dass ein bisschen mehr beruhigendes Strafen ist, wo zuvor keines war? Wie gut, dass sich zufällig ein paar “Fälle” finden! Denn dass die Raser (!) vom Ku’damm den Tod des Rentners (!) nicht “in Kauf genommen” haben, glaubt ihnen ja sowieso keine Sau: Der deutsche GTI- und AMG-Fahrer schwört jeden Eid, dass man den Tod von Kindern billigend in Kauf nimmt, wenn man 130 innerorts fährt. Außer natürlich, wenn es einen selbst trifft und das Kind nicht aufgepasst hat.

Strafrecht neu!

Schon sprangen ProfessorInnen aus den Büschen und teilten mit, dass der Nachweis des Mordvorsatzes von Berlin gar kein Problem sei. Als der 4. Strafsenat des BGH das anders sah (Urteil vom 1. März 2018, Aktenzeichen 4 StR 399/17), schwenkte man flugs um und fordert seither die Einführung eines “Leichtfertigkeits”-Tatbestands, damit (!) die Raser nicht wegen Mordes verurteilt werden “müssen”. Liebe Anwaltsvereine, wäre das nicht was für Euch?

Es naht die Stunde der Wissenschaft: Was ist denn so ein Vorsatz überhaupt? Ist der Beweis nicht schrecklich schwierig? Ist nicht problematisch, dass die Rechtsprechung “normativ” an die “Psychologisierung” herangeht und Fragen zu stellen wagt wie diese: Was glaubt/denkt/will man wohl im Allgemeinen, wenn man jemandem ein Brotmesser in die Herzgegend sticht? Die Wissenschaft hat ein erstaunliches Alternativangebot: Wir “normativieren” den Vorsatz, indem wir ihn abschaffen, wo er uns nicht gefällt. Konkret: Der “bedingte” Vorsatz wird mit der “Fahrlässigkeit” in eine wie auch immer genannte “neue Kategorie” verschmolzen: Was sich objektiv jedem Vernünftigen aufdrängt, heißt dann “leichtfertig”. Die Strafe dafür muss natürlich deutlich höher sein als die für (“einfache”) Fahrlässigkeit, darf aber ein bisschen geringer ausfallen als bei “direktem” Vorsatz. Alles andere bleibt, wie es ist: “Direkter Vorsatz”, “Absicht”, “einfache” Fahrlässigkeit”.

Noch ein bisschen konkreter: Was der (besoffene, erregte, dumme, provozierte, individuelle) Täter dachte, als er vor zwei Jahren dem Opfer in a) Fuß, b) Kopf, c) Oberschenkel, d) linken Unterbauch, e) Brust schoss/stach/schlug, weiß man zwar immer noch nicht, entscheidet es aber nun nach “objektiven” Gesichtspunkten: Stich 6 cm oberhalb Bauchnabel = Tötungsvorsatz; Stich 4 cm neben linker Lunge: kein Tötungsvorsatz. Oder so ähnlich. Anschließend unterhalten wir uns über Kultur, Alkohol, Intelligenz, Emotion und den Einzelfall. Vielen Dank, Wissenschaft! Es ist immer wieder faszinierend zu erleben, wie Menschen, die in ihrem ganzen Leben noch keinen einzigen wirklichen Strafrechtsfall entschieden haben, alles darüber wissen, wie man das am besten macht.

Ergo: Klingt kompliziert, ist einfach. Die Abgrenzung bleibt schwierig wie zuvor; das allgemeine Strafniveau steigt aber an. Die Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit wird nach oben verschoben; zugleich wird die Grenze zwischen “normaler” Fahrlässigkeit und “bedingtem” Vorsatz nach oben gedrückt und einfach mal anders genannt: “Leichtfertigkeit”. Was meinen/tippen/schätzen Sie, liebe Rechtsunterworfene: Wenn man zukünftig nicht mehr zwischen “fahrlässiger Tötung” (bis 5 Jahre) und “vorsätzlicher Tötung” (bis 15 Jahre oder lebenslang) unterscheiden müsste, sondern zwischen “fahrlässiger” (5 Jahre), “leichtfertiger” (10 Jahre) und “vorsätzlicher” (15 bis lebenslang) Tötung – wird dann wohl das durchschnittliche Strafniveau steigen oder sinken? Und wie wird es beim Raub sein, beim Versicherungsbetrug, bei der sexuellen Nötigung, bei der Gewässerverunreinigung und beim Erwerb von Betäubungsmitteln? Oder sagen wir es noch konkreter: bei einer von den zahllosen Straftaten, die Sie selbst oder einer Ihrer Verwandten oder Freunde demnächst begehen werden?

Professorin Hörnle hat kürzlich auf einer Onlineplattform der “FAZ” geschrieben, es sei überfällig, “endlich” die Grenze zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit neu zu bestimmen und die alte Zweiteilung aufzugeben. Kein schlechtes Timing! Man weiß nicht genau, wo hier das strategische Interesse aufhört und die interessenfreie Wissenschaft beginnt, und wo die taktischen Linien verlaufen. Zweierlei kann ich versichern: Die Wissenschaft vom Strafrecht ist ungefähr so menschenfreundlich und neutral wie die Wissenschaft von der Atomkraft aus der Steckdose.

Verächtliche wegen irgendwelcher Sauereien ein bisschen härter zu bestrafen, war in den letzten 250 Jahren wirklich sehr selten eine Maßnahme, die denen genutzt hat, deren “Sicherheit” sich angeblich erhöhen sollte. Da unsere Gesellschaft bekanntlich zu 96 Prozent aus Verächtlichen besteht, denen jeweils mit aller Kraft eingeredet wird, sie seien ein kleines bisschen weniger belanglos als die vielleicht noch Belangloseren, können Sie sich ja einmal überlegen, wie das ist mit Ihnen und der Strafrechtswissenschaft, und Ihrer Leichtfertigkeit beim “Tricksen”, “Schummeln” und “Sündigen”, und ob sie demnächst schon viel sicherer leben würden, falls der leichtfertige Missbrauch und der leichtfertige Raub und die leichtfertige Volksverhetzung strafbar sein sollten.

Glauben Sie bloß nicht, die Wissenschaft von der Strafrechtsdogmatik meine nur die eine oder den anderen “Täter”, den sie mal im Fernsehen gesehen haben! Sie meint immer Sie

By Alfred Becker

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